"The Next Generation":
Sherman Alexie und die neue Native American Renaissance der 90er Jahre

 

von
Frank Schulz
präsentiert auf dem Tag der Amerikas
der Universität Potsdam
am 31. Januar 2002


1          Intro: Native American Literature

Im wörtlichen Sinne gibt es Native American Literature, also die 'einheimische amerikanische Literatur', seit Beginn der Besiedlung des Kontinents vor etwa 25.000 Jahren. Denn eine moderne Definition von Literatur als Text im weiteren Sinne beinhaltet Schriftgut ebenso wie nur mündlich weitergegebene Lieder, Mythen und Geschichten der Ureinwohner. In diesem Sinne definiert auch der Vater des modernen indianischen Romans, N. Scott Momaday, Native American Literature:

Amerikanische Literatur beginnt mit der ersten in Sprache ausgedrückten und erhaltenen menschlichen Wahrnehmung von amerikanischer Landschaft. Unter Literatur verstehen wir im allgemeinen mehr als nur Geschriebenes. Die mündliche Überlieferung ist das Fundament der Literatur. [1]

(So weit jedoch soll es in diesem Exkurs zur englischsprachigen indianischen Literatur nicht zurückgehen.)

Ich möchte heute die Aufmerksamkeit auf eine neue Generation indigener Autoren und Autorinnen der USA lenken, die noch nicht in den Kanon der Native American Literature aufgenommen und noch nicht in Seminaren halbtot diskutiert worden ist, dennoch aber zunehmend an Popularität unter indianischem wie auch nicht-indianischem Publikum gewinnt. Der zeitlichen Begrenzung und persönlicher Vorlieben wegen werde ich mich dabei auf das Gebiet der Prosa konzentrieren. Die erwähnte Ausweitung des Literaturbegriffs erlaubt es mir aber, hier Musik und v.a. Film an geeigneter Stelle mit einzubeziehen.


2          "Treffen der Generationen": Der moderne indianische Roman

Die Existenz zeitgenössischer indianischer Literatur in den USA wurde der Öffentlichkeit erst Ende der 60er Jahre nach der Veröffentlichung von Momadays House Made of Dawn (1968) und dem ihm verliehenen Pulitzer-Preis bewußt. Der damit verbundene (auch einmal positive!) mediale Wirbel und die gesellschaftlichen Veränderungen in Kultur, Bildung und Politik ermöglichten den Beginn der sogenannten literarischen Native American Renaissance.

Dabei gehört Momaday neben James Welch, Gerald Vizenor u.a. nicht wie oft dargestellt der ersten, sondern bereits der zweiten Generation von indianischen Romanautoren an. Die ersten, lange Zeit vergessenen, Werke waren bereits in den 20er und 30er Jahren veröffentlicht worden.

Die Renaissance indianischen Schreibens (und des öffentlichen Interesses sowie politischen Selbstbewußtseins) hat seit den 60er Jahren unvermindert angehalten. Auch die nächste Generation indianischer Autorinnen (die Betonung ist hier angebracht) ist inzwischen in den Kanon der amerikanischen Literatur aufgenommen worden. Auch heute noch aktiv und präsent sind Leslie Marmon Silko oder Linda Hogan, aber auch deren 'literarische Väter' Momaday und Welch.

Schon zu Beginn der 80er Jahre stellte Joseph Bruchac, einer der Mentoren der Native American Renaissance, fest, daß die ihm nachfolgende Generation von Autoren bereits unter neuen, besseren Voraussetzungen zu schreiben begonnen hatte. Diese Schriftsteller wären mit einer größeren Akzeptanz für Native American Literature an sich aufgewachsen, als die seiner Generation, die unter der Allgegenwart der westlichen literarischen Tradition in öffentlichen Schulen oder denen des Büros für Indianische Angelegenheiten (BIA) erzogen worden waren.

Für diese dritte Generation indianischer Autoren seien wahrscheinlich "einige Dinge einfacher und klarer; und die dualen Mythen des 'Schmelztiegels' und 'Verschwindenden Roten Mannes' nicht mehr so omnipräsent" gewesen. Sie hätten wohl "nicht [mehr] mit der Verwirrung und dem Selbsthaß von Freunden und Familien zu kämpfen gehabt, die ihr indianisches Erbe verleugneten oder hinter sich lassen wollten". [2]

Seit Mitte der 80er Jahre ist in den USA sogar eine (unter der indianischen Bevölkerung mehr oder minder willkommene) Zuspitzung dieser, an sich positiven, Entwicklung zu beobachten. Neue rechtliche (und wohl nicht zuletzt finanzielle) Verhältnisse ließen den Anteil der Bevölkerung mit indianischen Vorfahren plötzlich sprunghaft ansteigen. Zeitgleich stieg auch das Interesse des weißen (oder nun nicht mehr ganz so weißen) Publikums an 'ethnischer' Literatur von Native Americans. Auch damit mag z.B. der überragende Erfolg der Romane Louise Erdrichs seit der Publikation von Love Medicine (dt. Liebeszauber) 1984 zu erklären sein.

Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bahnte sich jedoch eine völlig neue Generation von 'jungen Wilden' (der kolonialistische Doppelsinn hier ist unbeabsichtigt!) den Weg in die Öffentlichkeit. Sie besetzte nicht nur neue Themen und Erzählformen, sondern nutzte auch alle ihnen und einem breiteren Publikum zugänglichen Medien. So gibt es z.B. seit den 90er Jahren 'Indianerfilme', die diesem Genre eine neue Bedeutung geben. Auch in der populären Musik besetzten Native Americans langsam andere Felder als New-Age-Meditationsmusik und folkloristisches Getrommel. Innovative und überzeugende indianische Musik findet sich nun auch in den Bereichen Jazz, Folk und Rock.


3          "The Next Generation" oder: 'Stadtindianer' auf dem Vormarsch

Wer nun ist diese junge Generation von indianischen Autoren und wodurch lassen sie sich bestimmen, worin setzen sie sich von den Älteren ab und gibt es so etwas wie einen Generationskonflikt?

Im Feuilleton der New York Times vom 21. April 1997 erschien anläßlich des Todes von Michael Dorris, dem Lebens- und Schreibpartner Louise Erdrichs, ein Artikel, der dessen literarische Nachfolger unter der etwas patronisierenden Überschrift "Der Indianer in der Literatur wird erwachsen" vorstellt. [3]

Sieben Autoren und Autorinnen von Prosa werden genannt. Alle nach 1950 geboren, sind sie bereits mit den Ergebnissen der gesellschaftlichen und literarischen Veränderungen in den USA der späten 60er Jahre aufgewachsen. Sie sind auch Zeugen bzw. 'Produkte' einer zunehmenden Urbanisierung indianischen Lebens. Heute leben über 60 Prozent der Native Americans in Städten und Großstädten, wo sie der extremen Armut und oft neunzigprozentigen Arbeitslosigkeit in den Reservationen zu entkommen suchen.

Daß sich dies auch in der Literatur von und über Native Americans widerspiegeln müsse, ist eine der Hauptforderungen der jungen Autoren. Ihr heute erfolgreichster Vertreter und lautester Wortführer, Sherman Alexie, führt deshalb auch gerade im akademischen Bereich einen Feldzug gegen die "Korn-Pollen, Vier-Himmelsrichtungen, Adler-Federn Schule der indianischen Literatur": [4]

Diese Diskussionen über Native American Literature sind so romantisch. Fast jede Diskussion verweist auf die mündliche Tradition, Petroglyphen, Trickser Figuren, Korn-Pollen, etc. etc. etc. […] Die meisten der Menschen jedoch, die wir heute als indianische Schriftsteller klassifizieren, sind nicht traditionell erzogen worden. […] Sie haben in der Kindheit keine Erziehung in ihrer Stammeskultur erhalten. Der größte Teil ihres Stammeswissens kommt aus denselben Büchern, aus denen Nicht-Indianer ihr Wissen beziehen. Diese indianischen Autoren füllen ihre Bücher mit formelhaften indianischen Bildern (sog. Tropen) und nicht-indianische Kritiker indianischer Literatur lieben es (es macht das Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten so viel leichter). [5]

Die Autorin des o.g. New York Times-Artikels betont deshalb auch den Paradigmenwechsel, der mit der jungen indianischen Prosa vollzogen wurde. Im Gegensatz zu den schon zu Klassikern der Native American Literature gewordenen Erzählern (der Dreifaltigkeit Momaday-Welch-Silko plus Erdrich), deren vornehmlich "lyrische Prosa meist in Reservationen angesiedelt ist und von der Sehnsucht nach der verschwundenen Kohärenz der Stammeswelt erfüllt" sei, begännen die jungen Autoren "in Werken von zunehmender Härte, klarer Individualität und voller Referenzen zur Pop-Kultur" [6] die indianische Geschichte neu zu durchdenken. [*]

Als Beispiele der neuen urbanen Indianerliteratur werden Greg Sarris' Grand Avenue (1994) und Sherman Alexies Indian Killer (1996) und der noch unvollendete neue Roman Susan Powers genannt. David Treuer, übrigens der jüngste der Autoren, wird als Beispiel für die Verweigerung indianischer Autoren angeführt, sich den Zwängen des Marktes zu beugen:

Treuer war entschlossen, nicht die traditionelle Indianergeschichte zu schreiben. Es würde keine Medizinmänner geben, kein Nacherzählen alter Stammesmythen. […] "Doch die kommerziellen Verlage in New York suchten nach Federkopfschmuck und Büffeln. Die Menschen sind es gewöhnt, uns halbnackt in den Wäldern herumrennen zu sehen." [7]

Dieses Dilemma ist ebenso anderen indianischen Künstlern bekannt und wird gerade deshalb oft versucht zu unterlaufen. Auch Sherman Alexie erklärt damit die Schwierigkeiten anspruchsvoller Native American Literature, nationale Aufmerksamkeit zu erringen. [8] Thomas King thematisiert eben jene weiße Rezeptionserwartungen in seinem Roman Medicine River (1990). Er läßt den alten Blackfoot Lionel James als storyteller nach Europa reisen, denn, wie dieser sagt, scheinen "viele Weiße wirklich interessiert an Wissen über Indianer". Doch dieses Interesse bliebe beschränkt auf "Geschichten über Indianer, wie sie waren. Ich habe ein paar wirklich gute, komische Geschichten darüber, wie die Dinge heute sind, aber diese Menschen sagen, nein, erzähl' uns über die alten Tage. Also tu' ich's." [9]


4          "Rauchsignale" oder: Neue indianische Medien

Die eindimensionalen Erwartungen des euro-amerikanischen Publikums beschränken sich natürlich nicht auf die Literatur. Besonders im Film haben sich über Jahrzehnte die kolonialistischen Stereotype des 'Noblen Wilden' bzw. 'Roten Teufels' bis heute erhalten. Auch der neue Boom des (weißen) Indianerfilms, der mit Kevin Costners Dances with Wolves (dt. Der mit dem Wolf tanzt) 1990 begann, bediente sich nur eines weiteren Stereotyps: des Mythos vom 'Verschwindenden Indianer'.

Die Subversion dieser kolonialistischer Schemata gerade in der sog. Pop-Kultur wurde deshalb auch zu einem Schwerpunkt der jungen indianischen Künstler. So bevölkern beispielsweise Reinterpretationen des 'ur-amerikanischen' Gespanns The Lone Ranger and Tonto gleich mehrere Werke Sherman Alexies. Auch Thomas King unterläuft in Green Grass, Running Water (1993) mythologische Figuren des weißen Amerikas gleich mehrfach: Robinson Crusoe, Hawkeye (Coopers 'Falkenauge'), Ishmael (aus Moby Dick) und eben der Lone Ranger sind bei ihm die (Deck-) Namen vier indianischer Gestalten aus alten Schöpfungsmythen, die sich zusammen mit Coyote, einem der wichtigsten mythologischen Figuren vieler Native Americans überhaupt, auf den Weg zu einem Sonnentanz in Alberta machen.

King und Alexie gehören auch zu den ersten Indianern, die sich kreativ dem Medium Film angenommen haben, um hier ihre Version der eigenen Geschichte und v.a. auch Gegenwart zu erzählen. So verfaßte King 1994 eine Drehbuch-Adaption seines Romandebüts Medicine River und Alexie nahm eine seiner Geschichten aus The Lone Ranger and Tonto Fistfight in Heaven zur Vorlage für den Film Smoke Signals (1998). Der Schritt zum Drehbuch sei ihm dabei nicht schwergefallen, da die bildhafte Darstellung im Film seiner Dichtung sehr verwandt sei.

Smoke Signals beansprucht für sich auch den Rang des ersten ausschließlich indianischen Kinofilms der Geschichte. Mit dem Cheyenne-Arapaho Chris Eyre fand Alexie einen Regisseur, der es verstand, auch den besonderen Humor aus Alexies Büchern auf die Leinwand zu transformieren. Im Film machen sich die beiden Helden Victor Joseph und Thomas-Builds-the-Fire auf den Weg von ihrer Reservation in Washington State nach Arizona, um die sterblichen Überreste von Victors Vater heimzuholen. Dieser klassische Roadmovie-Plot wird zu einer Selbstfindungsreise, auf der nicht nur das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, sondern auch das heutige Verständnis junger Indianer ihres kulturellen Erbes und ihrer Identität diskutiert werden. Obwohl dies, so Alexie in einem seiner typisch sarkastischen Kommentare, "ziemlich ironisch" sei, da es einen großen Unterschied mache, ob ein amerikanischer Immigrant (also jeder Nicht-Indianer) auf literarischer Identitätssuche sei, oder der "Ureinwohner eines Ortes sich noch immer auf der Suche nach seiner Identität" befände. [10]

Der indianische Film heute hat mit denselben Problemen zu kämpfen, die für den Literaturbetrieb aufgezeigt worden sind. So sagt Alexie über die Angebote für Verfilmungen seiner Bücher: "Sie waren daran interessiert, die Geschichten zu ändern, um der Idee von kommerziellem Indianität zu entsprechen. Sie wollten mehr Lendenschurze, mehr Visionen. Sie wollten Thunderheart ['dt. Halbblut']  oder Der mit dem Wolf tanzt …." Wohl auch aus diesem Grund ist die Zahl alternativer, indianischer Lesarten im Film noch sehr gering.

Neben den beiden genannten Filmen hat in den USA v.a. die Fernseh-Adaption von Greg Sarris' Grand Avenue (1996) von sich reden gemacht. In dieser wird der indianische Plot in einer (noch) ungewohnten, dabei doch viel typischeren Umgebung angesiedelt: Grand Avenue ist eine Straße im Ghetto der kalifornischen Stadt Santa Rosa, die v.a. von Native Americans, Latinos und Schwarzen bewohnt wird. Die Probleme sind dementsprechend 'un-indianisch' und 'indianisch' zugleich: Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Kriminalität und die Krebserkrankung eines jungen Mädchens.

Diese ethnische Grenzen übergreifenden Themen werden verbunden mit dem Kampf um die Bewahrung indianischen Erbes (konkret eines Friedhofs). Das sich Sarris dabei wahrscheinlich dem Druck des Fernsehsenders HBO gebeugt hat und im Film dem Mädchen durch eine traditionelle Heilungszeremonie zur Besserung verhilft, dürfte Sherman Alexie wenig gefallen haben:

Indianer haben sich an einen generischen Indianismus gewöhnt und glauben, dieser wäre traditionell oder real. Wie die Suche nach einer Vision im dritten Akt. Egal, ob es von einem Indianer gemacht wurde oder nicht, es gibt immer die Suche nach einer Vision, wo ein Indianer so auf einem Berg steht (Alexie hebt seine Arme). Es tut mir leid, aber ich habe tausende Indianer getroffen, doch ich habe noch immer nicht den kennengelernt, der auf einem Berg gestanden hat und auf ein Zeichen wartete. […] Wenn du jemandem auf der Reservation sagtest, "Ich möchte, daß du auf den Lookout Mountain gehst und auf eine Zeichen wartest", würden sie antworten, "Du möchtest was? Zur Hölle, nein! Es ist kalt! Ich will lieber Football gucken." Es ist fast das 21. Jahrhundert. Die Art und Weise, ein Indianer zu sein, unterscheidet sich enorm von der, die es vor hundert Jahren gab. [11]

(Zu Sarris' Ehrenrettung muß allerdings erwähnt werden, daß es durchaus noch Medizinfrauen in seiner Verwandtschaft gab, die sich auf traditionelle Zeremonien verstanden, was er deshalb auch in seinem Roman darstellt.)

Am Ende dieses Kapitels zum indianischen Film soll noch erwähnt werden, daß Sherman Alexie endlich sein zweites Spielfilmprojekt beendet hat, bei dem er diesmal auch die Regie übernahm und dabei auf die Hilfe einer großen Produktionsfirma verzichtete. The Business of Fancydancing ist ein ungewöhnlicher, nicht-linear erzählter Film, der sich auch strukturell an Alexies narrativen Gedichten orientiert. Erzählt wird die Geschichte des Spokane Seymour Polatkin, der in Seattle zu einem erfolgreichen Poeten geworden ist und anläßlich eines Begräbnisses auf seine Reservation zurückkehrt. Konfrontiert mit der Vergangenheit, muß er erneut seine indianische und sexuelle Identität in Frage stellen. The Business of Fancydancing hatte vor vierzehn Tagen Premiere auf dem Sundance Film Festival, das 1998 auch das Sprungbrett für Smoke Signals darstellte. Ob der Film je in die Mainstream-Kinos kommen wird, ist allerdings noch unklar.


5          "Zurück zu Pepsi und Doritos": Eine Zusammenfassung

Der Versuch, die Werke der jungen indianischen Erzähler unter wenigen Charakteristika zusammenzufassen, muß schon an der Vielfalt der Themen und Genre scheitern. Zudem sind die Bedingungen, unter denen die Autoren schreiben oft sehr verschieden, wie Alexie mit Bezug auf den New York Times-Artikel von 1997 betont:

Die Werke von Dorris, Power, Harjo, Treuer, Carr, Sarris und mir könnten nicht unterschiedlicher sein in Fokus, Hintergrund, Stammeszugehörigkeit, kultureller Verbindung, Reservationsstatus, Blutanteil, etc. [12]

So finden sich unter den genannten Autoren (siehe Tabelle) satirische Pop-Poeten wie Alexie, kritische Realisten wie Sarris oder LaDuke und auch Mystery-Romane mit indianisch-mythischer Prägung wie Aaron Carrs Vampir-Roman.

So hat Sherman Alexie seit seinem Senkrechtstart als 25jähriger bereits ein gutes Dutzend Bücher veröffentlicht, das fast alle Genre von Poesie über Kurzgeschichten und Romanen bis zu Drehbüchern abdeckt. Susan Power erzählt in The Grass Dancer (dt. Die Grasstänzer) eine magische Liebesgeschichte, die in vielem mit Erdrichs Romanen vergleichbar ist. Zwei Frauen, Luci Tapahonso und Joy Harjo haben sich bereits als Dichterinnen einen hervorragenden Ruf erarbeitet und sich nun ebenfalls Erzählungen zugewandt. Harjo ist mit ihrer Jazz-Fusion Band Poetic Justice auch musikalisch sehr aktiv. Wohl die bekannteste indianische Frau in den USA (neben Pocahontas!) ist heute Winona LaDuke, die bereits zweimal für die Grünen als US-Vizepräsidentin kandidierte und die Geschichte ihres Stammes in ihrem Roman Last Standing Woman gewohnt kämpferisch darstellt. Greg Sarris ist nicht nur Literatur-Professor an der UCLA und gewählter Häuptling der Miwok-Indianer, sondern hat bereits einen weiteren Roman veröffentlicht. Auch der junge David Treuer kann schon auf zwei Romane zurückblicken.

Gemeinsam scheint dennoch einem Großteil der jungen Generation die bewußte Auflehnung gegen die Klassiker der ersten Native American Renaissance zu sein. Vor allem die Einbeziehung von Satire und Ironie, wie bei Alexie, und der Versuch auf 'traditionelle' indianische Elemente zu verzichten, wie bei Treuer, hat ihnen bei zunehmendem Erfolg bei einem nicht-indianischen Publikum auch harsche Kritik aus den eigenen Reihen eingebracht. In einer sehr polarisierenden und politisch aufgeladenen Debatte wird ihnen vorgeworfen, sie malten ein zu schwarzes Bild vom Leben der Indianer heute (was Alexie zum Schreiben des wirklich düsteren Indian Killer anregte), gäben kein positiv-moralisches Beispiel, bedienten sich zu stark bei der westlichen Pop-Kultur, machten die eigene verächtlich und bekräftigten ihrerseits nur die gängigen Stereotype vom 'Betrunkenen' und 'Verschwindenden Indianer'.

Mehrfach haben sich die jungen deutlich gegen die traditionalistischen Überväter der indianischen Literatur ausgesprochen. So hieße es z.B. bei Vizenor immer "Trickser dies und Coyote das" [13] kritisiert Treuer dessen elitär-akademische Schreibweise, die auch Alexie anprangert:

Nun, was würde ein zwölfjähriges rez kid mit Vizenors transgressiver Literatur wohl tun? Höchstwahrscheinlich kein bißchen davon verstehen […] Und wenn ein Werk der Native American Literature 'unbrauchbar' für ein zwölfjähriges indianisches Kind auf der Reservation ist, was ist dann sein Zweck? [14]

Den heutigen indianischen Leser erreiche man so nicht, im Gegenteil:

Wenn er [über Bruchac] auf unsere Reservation käme und das Trommel-Geschichtenerzählen-Ding abzöge, würden wir eine Weile zuhören und dann zu unserer Pepsi und den Doritos zurückkehren und darüber klatschen, wer letzte Nacht mit wem schlief. [15]

Trotzdem gibt es auch Übereinstimmungen mit der älteren Generation. Das zentrale Thema der indianischen Literatur ist noch immer die Identitätskrise der (oft gemischt'rassigen') Helden zwischen der weißen (modernen) und (traditionellen) Stammeskultur. Letztere ist dabei zunehmend in Auflösung begriffen oder muß sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Dies wird noch erschwert durch die erwähnte Abwanderung in die Städte.

Auch stilistisch läßt sich eine Eigenart der heutigen Native American Literature beobachten, die vermutlich sowohl der eigenen Tradition des storytelling, als auch der spezifischen weißen literarischen Tradition Amerikas geschuldet ist. Schon mit den ersten Werken der Native American Renaissance entstand eine genreübergreifende Erzählweise, die Mythen, Poesie und Geschichten in fließendem Übergang zu einem komplexen Erzählwerk verbindet, das sich durch eine hohe lyrische Qualität und Originalität auszeichnet. Darin verbinden sich die Werke Leslie Silkos mit den heutigen Luci Tapahonsos oder Sherman Alexies. Der 'Roman aus Geschichten' (übrigens auch in der Tradition Faulkners) Greg Sarris' verknüpft sich so nahtlos mit den Werken Louise Erdrichs seit Love Medicine.

 


 

Acknowledgements / Danksagung

I would like to thank my two professors who hooked me to NAL, Dr. Jürgen Heiß of Potsdam University, and Dr. Amelia Katanski of Kalamazoo College.

"It's a good day to be indigenous."

 

 



[*]   Dieser im Grunde hilfreichen Unterscheidung muß dennoch einschränkend widersprochen werden. Zum einen, weil das Kriterium der neuen Urbanität nicht alle jungen Autoren, ja nicht einmal das Gesamtwerk einzelner Vertreter, einschließt und zum anderen die deutliche Entwicklung in den Werken Momadays, Welchs und Erdrichs außer acht läßt, die sich seit Ende der 1980er ebenfalls der Frage der Identitätsfindung von Indianern in weißen, städtischen Gemeinden zugewandt haben. (Vgl. Velie 1995)

Zudem zeichnen sich z.B. Alexies Werke neben Indian Killer gerade durch ihre lyrische Qualität aus, die die zuweilen inhaltliche Härte kontrastiert.

 

 


Quellen

[1]     Momaday, N. Scott. The Man Made of Words. New York: St. Martins, 1997. 14.

[2]     Bruchac, Joseph. … SAIL 5 (1993) 2: 13 [reprint from SAIL 6 (1982) 4 : 1-6].

[3]     Smith, Dinitia. "The Indian in Literature is Growing Up: Heroes Now Tend to Be More Hard Edged, Urban and Pop Oriented." The New York Times 21 April 1997: C11.

[4]     Chapel, Jessica. "Sherman Alexie – poet, novelist, short story writer, Native American – strikes out at the 'eagle-feathers school of Native literature." Atlantic Unbound 1 June 2000. 27 June 2002. <http://www.theatlantic.com/interviews/ba2000-06-01.htm>.

[5]     Alexie, Sherman. "Re: Message from Sherman Alexie." Online posting. Newsgroup nativelit-l@csd.uwm.edu. 12 April 1997.

[6]     ibid.

[7]     ibid

[8]     Highway, Thomson. "Spokane Words: Thomson Highway Raps with Sherman Alexie." Aboriginal Voices January-March 1997. 22 November 2001. <http://www.fallsapart.com/printer/art-av.html>.

[9]     Quoted in Cox, James H "'All This Water Imagery Must Mean Something': Thomas King's Revisions of Narratives of Domination and Conquest in Green Grass, Running Water." AIQ 24 (Spring 2000) 2: 220.

[10]    Chapel, Jessica. Atlantic Unbound.

[11]    Teters, Charlene. "Sherman Alexie." Indian Artist. Spring 1998: 35.

[12]    Alexie, Sherman. "Re: Erdrich." Online posting. Newsgroup nativelit-l@csd.uwm.edu. 22 April 1997.

[13]    Unknown. "The success of three new authors is a sign that old barriers to minorities are crumbling – in the publishing world at least." Pioneer Planet [St. Paul] 23 February 1997. 27 January 2002. <http://www.pioneerplanet.com/columnists/docs/GROSSMAN/docs/009265.htm>.

[14]    Alexie, Sherman. "Re: transgressive na am lit." Online posting. Newsgroup nativelit-l@csd.uwm.edu. 12 April 1997.

[15] Alexie, Sherman. "Re: Joe Bruchac." Online posting. Newsgroup nativelit-l@csd.uwm.edu. 21 April 1997.

 

 


Anhang
 

Indianische Erzähler seit der NAR

2. Generation
(Beginn der NAR)
3. Generation
4. Generation

Allen, Paula Gunn *1939
Cook-Lynn, Elizb. *1930
Momaday, N. Scott *1934
Vizenor, Gerald *1934
Welch, James *1940



Dorris, Michael *1945
Glancy, Diane *1941
Hale, Janet Campbell *1947
Hogan, Linda *1947
King, Thomas *1943
Ortiz, Simon *1941
Owens, Louis *1948
Silko, Leslie Marmon *1948
Smith, Martin Cruz *1942
Walters, Anna Lee *1946

Alexie, Sherman *1966
Carr, Aaron *1963
Erdrich, Louise *1954
Harjo, Joy *1951
LaDuke, Winona *1959
Power, Susan *1961
Sarris, Greg *1953
Tapahonso, Luci *1953
Treuer, David *1971

 

Auswahlbibliographie

Sherman Alexie
The Business of Fancydancing, 1991
I Would Steal Horses, 1993
Old Shirts & New Skins, 1993
First Indian on the Moon, 1993
The Lone Ranger and Tonto Fistfight in Heaven, 1993
Reservation Blues, 1995
Water Flowing Home, 1995
The Summer of Black Widows, 1996
Indian Killer, 1996
The Man Who Loves Salmon, 1998
The Toughest Indian in the World, 2000
One Stick Song, 2000

Smoke Signals, 1998
(screenplay, lyrics for o.s.t.)
The Business of Fancydancing, 2002
(written & directed)

Aaron Albert Carr
Eye Killers, 1995

Winona LaDuke
Last Standing Woman, 1997

Joy Harjo
A Map to the Next World, 2001

Susan Power
The Grass Dancer, 1998

Greg Sarris
Grand Avenue, 1994
Watermelon Nights, 1998

Luci Tapahonso
Blue Horses Rush In, 1997

David Treuer
Little, 1995
The Hiawatha, 1999

 

 


 

© 2002 by Frank Schulz