SAT1, Dec 15, 1998
Schon vor 14 Jahren hatten Sie angekündigt, die unveröffentlichen
Songs gesammelt herauszubringen. Jetzt ist es soweit. Warum mußten Ihre
Fans so lange warten?
Es sind 200 bis 300 Songs. Es hat eine Weile gedauert, sie zusammenzusuchen,
dann mußte ich alle noch mal überarbeiten. Und die aktuellen Projekte
gehen normalerweise vor. Nach der Tom-Joad-Tour hatte ich dann genug Zeit. Es
gab viele Songs, die gut genug für ein Album waren, aber einfach aus Platzgründen
früher nicht veröffentlicht worden sind.
Waren auch Stücke dabei, die Sie schon vergessen hatten?
Ja. Ich habe Post von Fans bekommen, die von dem Projekt gehört hatten,
und die schrieben: "Vergiß nicht den und den Song". Zum Beispiel
gab es einen Song "Ice Man", an den konnte ich mich gar nicht mehr
erinnern. Wir haben ihn rausgesucht, und er war gut. Jetzt ist er auf der Platte.
Einige Fans haben also bei der Auswahl mitgeholfen.
Mußten Sie sie technisch überarbeiten? Manche waren 25 Jahre alt.
Ja, aber ich wollte vor allem den charakteristischen Sound bewahren. Die Aufnahmen
waren alle ganz in Ordnung. Die frühen Aufnahmen auf dem John-Hammond-Tape
waren meistens zweispurig. Man kann sie "mastern", d.h. man gibt ein
bißchen mehr Bässe oder Höhen dazu. Bei mehrspurigen Aufnahmen
kann man außerdem die Instrumente neu arrangieren. Wir haben den Klang
im wesentlichen gelassen, wie er war, nur etwas verbessert.
Vor 10 Jahren haben Sie und die E Street Band sich offiziell getrennt. Die
Band macht aber immer noch an Ihren Studio-Produktionen mit. Stimmen die Gerüchte,
daß Sie jetzt eine gemeinsame Tournee planen?
Darüber muß ich nachdenken... Vor zehn Jahren haben wir beschlossen,
mal etwas anderes auszuprobieren. Wenn man einen so großen Teil des Lebens
zusammen gearbeitet hat ... wir haben als Teenager in der Highschool angefangen,
und sind gemeinsam erwachsen geworden. Es gibt noch keinen konkreten Plan, aber
ich möchte wieder mit ihnen spielen. Wir reden darüber, und vielleicht
gibt es schon bald Ergebnisse.
Erinnern Sie sich an das Konzert mit der E Street Band hier in Berlin im Juli
1988, damals in Ost-Berlin?
Das war das größte Konzert, das wir je gemacht haben. Es war anders
als alle unseren anderen Konzerte. Wenn man an einem Ort spielt, wo etwas vor
sich geht, wo etwas in der Luft liegt, wird man davon beeinflußt. Plötzlich
ist alles anders, als es die hundert Abende davor war. So soll es mit meiner
Musik auch sein. Es kamen unglaublich viele Leute. Ich erinnere mich noch gut
an einzelne Gesichter in der Menge. Die Leute haben amerikanische Flaggen aus
Kleidungsstücken zusammengeflickt. Es war sehr bewegend und emotional.
Ich finde, es war unser bestes Konzert seit sehr langer Zeit.
Waren Sie sich der politischen Lage damals bewußt, und wußten Sie
von der Zensur, die folgen würde?
Wir wußten, daß schon einige andere Gruppen in Ost-Berlin gespielt
hatten, und das es möglich war, dort aufzutreten. Wir kannten die Bedingungen
nicht genau, und wußten nicht, wie es ausgehen würde, aber man konnte
fühlen, daß alles etwas entspannter war. In West-Berlin hatten wir
schon häufig gespielt, in Ost-Berlin waren wir ein paar Mal als Besucher
gewesen. Wir wollten die Gelegenheit nutzen, dort zu spielen.
War es anders als im Westen?
Es war völlig anders. Wissen Sie, wir gewöhnen uns alle an die Freiheit.
Und es ist völlig natürlich, daß man die Freiheit irgendwann
selbstverständlich findet. Das ist wohl auch Teil des Luxus', den Freiheit
bedeutet, obwohl ich nicht weiß, ob das so sein sollte. Als wir in Ost-Berlin
gespielt haben, gab es diese Einstellung nicht. Und das hat eben auch fundamental
das Konzert beeinflußt, wofür man spielt, und worum es geht. Als
Künstler ist man manchmal am besten, wenn man gegen etwas angehen muß.
Wenn alles zu leicht ist, wird die Arbeit theoretisch. Auch dann kann es kraftvoll
sein, aber wenn es praktisch und real wird, fühlt man sich anders, und
auch für das Publikum ist es anders. Das ist aufregend, sehr unmittelbar
und intensiv.
Kurz danach kam die Wiedervereinigung. Sie waren 1995 für das "Hungry
Heart-Video" in Berlin, und jetzt wieder. Hat sich Berlin für Sie
sehr verändert? Mögen Sie die Stadt?
Ich war nicht oft genug hier, um das beurteilen zu können. Es ist anders,
allein daß man jetzt überall hinfahren kann, ohne Grenzlinien. Die
Mauer war ein unglaubliches Symbol in vieler Hinsicht: emotional, privat, politisch...
Jetzt plötzlich ist das Symbol weg, und das verändert vieles. Letztes
Mal habe ich in einer kleinen Bar im Osten gespielt, ein toller Abend, mit Wolfgang
Niedecken und seiner Band. Großartig, daß das möglich war.
Ja, es hat sich viel bewegt.
Vielen Dank für das Interview.
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